Pädagogisches Personal fühlt sich übergangen

Stormarner Tageblatt  02.06.2020

Fachpersonal sieht Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen in Schulen und Kitas mit Sorge

Bald werden auf dem Pausenhof der Stadtschule wieder mehr Kinder sein. Schulleiterin Sabine Prinz (kl. Foto) ist besorgt.Nie
Bald werden auf dem Pausenhof der Stadtschule wieder mehr Kinder sein. Schulleiterin Sabine Prinz (kl. Foto) ist besorgt.Nie

Patrick Niemeier Bad Oldesloe Grundschulen ohne Abstandsbeschränkungen, Kindergartengruppen, die wieder auf 15 Kinder aufgestockt werden – plötzlich nehmen die Corona–„Lockerungen“ im Bereich der Kitas und der Schulen Fahrt auf. So manche gestresste Familie atmet auf, zumal der Druck der Wirtschaft auf die Politik täglich ansteigt.

Das pädagogische Fachpersonal hingegen fühlt sich zum Teil ignoriert, im Stich gelassen und von der Landesregierung vor vollendete Tatsachen gestellt. Auch in Bad Oldesloe macht man sich Gedanken, warum so kurz vor den Sommerferien der Grundschulbetrieb wieder hochgefahren werden soll.

„Warum entwerfen wir wochenlang Ideen und Konzepte, um dann plötzlich ohne Abstandsregelungen arbeiten zu sollen? Ich brauche ein funktionierendes Hygienekonzept für meine Mitarbeiter. Ich mache mir Sorgen um ihre Gesundheit. Grundschule in Corona-Zeiten ohne Abstandsregeln kann für uns nicht funktionieren“, so Sabine Prinz, Leiterin der Oldesloer Stadtschule. Sie frage sich, auf welcher Basis die Landesregierung Entscheidungen treffe. Es demotiviere pädagogisches Personal außerdem, dass sich wochenlang darum bemüht habe, ein funktionierendes System für die Kinder zu erarbeiten, das jetzt einfach vom Tisch gefegt werde. Engagierte Lehrkräfte würden für die Illusion einer vermeintliche „Normalität“ ausgebremst, die es in der Praxis nicht geben werde.

Eine Oldesloer Grundschullehrerin bezeichnet gegenüber der Redaktion die Pläne der Landesregierung als „praxisfern und überhastet“ – vor allem hinsichtlich des notwendigen Schutzes für das Personal. Keiner der Kollegen sei damit glücklich. Man sehe aus pädagogischer Sicht auch keine sinnvolle Notwendigkeit, alle Kinder für die kurze Zeit bis zu den Ferien in die Schule zu holen. Schulen seien pädagogische Einrichtungen und kein Verwahrort. Da das Elterngeld für Eltern, die nicht im Homeoffice arbeiten können, verlängert worden sei, zähle auch der wirtschaftliche Druck nicht als zentrales Argument.

„Wir haben die Frage, ob wir diesen Schritt gehen, sehr intensiv mit unseren wissenschaftlichen Beratern und unserer Betriebsärztin erörtert. Wir halten es nicht nur für verantwortbar, sondern für geboten, die Kinder nicht länger in ihrem Recht auf Bildung zu begrenzen“, begründet Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Die Schließung der Schulen hätte ja nicht nur dem Schutz der Kinder, sondern der gesamten Gesellschaft gedient. „Wir glauben, dass wir eine solche Öffnung vor dem Hintergrund des extrem niedrigen Infektionsrisikos, was wir jetzt im Land haben, unseren Lehrkräften zumuten können“, so Prien weiter.

Auch aus mehreren Kitas in Bad Oldesloe ist zu hören, dass man die vom Land verkündete Vergrößerung der Gruppen in der Kürze der Zeit gar nicht umsetzen könne und werde, wenn man zugleich auf die wichtige Hygiene und den Schutz des Personals achte wolle. Es sei wochenlang an Hygienekonzepten gearbeitet worden. Deren Umsetzung müsse weiterhin möglich sein. Der Arbeitsschutz des Personals könne nicht unter den Tisch fallen.

Astrid Henke, Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Schleswig-Holstein, sieht das ähnlich. Es sei befremdlich, dass die Landesregierung nicht einmal das Gespräch mit der GEW gesucht habe. Man sei irritiert, dass die Sorgen des Fachpersonals die Landesregierung maximal am Rande interessiere. „Je größer die Kita-Gruppe oder die Lerngruppe in der Schule, desto größer die Gefahr für die Gesundheit der Pädagoginnen und Pädagogen. Deshalb halten wir die Pläne der Landesregierung zumindest für verfrüht“, sagt Henke.

Die Abstandsregeln oder Kleingruppen müssen erhalten bleiben, bis es aussagekräftige, medizinische Studien über die Rolle von Kindern als mögliche Überträger des Virus gebe, so Henke.

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