Ein Corona-Samstag in der Kleinstadt-Fußgängerzone

Stormarner Tageblatt  25.01.2021

Zwischen Rücksicht, Egoismus und Routine: Die Corona-Maßnahmen führen auch in Bad Oldesloe zu Konflikten beim Einkaufen

Abstände und disziplinierte Besucher rund um den Gänselieselbrunnen: Marktbeschicker achten auf die Regeln. Niemeier
Abstände und disziplinierte Besucher rund um den Gänselieselbrunnen: Marktbeschicker achten auf die Regeln. Niemeier

Patrick Niemeier
BAD OLDESLOE „Nur vier Personen gleichzeitig“, ruft die Bäckereifachverkäuferin in der Bad Oldesloer Innenstadt leicht genervt in Richtung einer jungen Familie, die gerade das Geschäft durch die Tür mit der Aufschrift „Ausgang“ betritt. „Und bitte den Mundschutz aufsetzen“, kommentiert sie in die Richtung eines weiteren Kunden. Einkaufs-Alltag in Corona-Zeiten.
Kontakte vermeiden, möglichst keine Menschen treffen, sich nicht in Gruppen verabreden, die Maskenpflicht einhalten – all diese Punkte sind hinlänglich bekannt. Eifrig sind Politiker und auch Verwaltungen seit Monaten dabei, auf die Regeln hinzuweisen. Jeder Strohhalm sinkender Infektions- und Inzidenzzahlen wird derweil aufgenommen und als Hoffnungsschimmer gesehen , stets das Mitwirken der Bevölkerung gelobt.
Doch wer am Samstag durch die Bad Oldesloer Innenstadt geht, hat nicht unbedingt den Eindruck, dass der Andrang trotz einiger im Shutdown geschlossener Geschäfte deutlich geringer geworden ist, im Vergleich zu normalen Zeiten. Das mag am Wochenmarkt liegen, es mag daran liegen, dass die Sonne durch die Wolken schaut und es mag daran liegen, dass Mitbürger „coronamüde“ geworden sind.
Vor einem Geschäft, das ebenfalls nur wenige Kunden einlassen darf, hat sich eine längere Schlange gebildet, die wie eine Straßensperre ein Mal quer über die Fußgängezone reicht. Einige Passanten pöbeln daher, einer schiebt einfach einen Wartenden beiseite. Abstand halten? Fehlanzeige. Rücksichtsvolle versuchen sich an einem Hindernislauf wie im Slalom.Erstaunlich viele Passanten haben allerdings offenbar trifftige , selbst definierte Gründe ihren Mundschutz abzunehmen. Sei es zum Rauchen, zum Trinken aus dem To-Go Becher oder zum Essen. Eigentlich keine legalen Ausnahmegründe – aber man schaut weg.
Die Ankunft einer Polizeistreife, die wohl von der nahen Kundgebung gegen Atomwaffen auf der Hude kommt, ist früh zu erkennen. Eifrig sieht man Menschen ihre Masken überziehen. Es scheint ihnen also durchaus bewusst, dass sie sich nicht an die Regeln halten. Darauf angesprochen, gibt ein Mann in den besten Jahren zu Protokoll, dass er niemanden kenne, der an Covid-19 erkrankt sei. Die Zahlen könnten für Bad Oldesloe also nicht so schlimm sein, hat er für sich analysiert. Gleichzeitg kritisiert er, dass genau diese Zahlen nicht pro Ort verkündet werden. Mit Inzidenzwerten für den Kreis oder wie viele neue positive Tests es gebe, könne er nichts anfangen. „Wenn das in Glinde ist oder in Ahrensburg, warum soll ich dann hier so dermaßen aufpassen?“, fragt er . Er lasse sich nicht verbieten, seinen ganz normalen Routinen nachzugehen. Das beinhalte halt den Gang in die Innenstadt am Sonnabend und auch das Rauchen und einen Kaffee vom Bäcker. „Schlimm genug, dass ich den hier im Gehen trinken muss“, sagt er. Er gehe auch genau daher in die Stadt, weil er den lokalen Handel unterstützen wolle. „Oder soll hier alles pleite gehen?“, fragt er.
Ähnlich sehen es offenbar zahlreiche hochbetagte Oldesloer, die sich zum Teil mit Rollatoren und dem Mundschutz unter der Nase durch die Stadt schieben. Die deutlich als Mitglieder der Hochrisikogruppe erkennbaren Passanten sind neben jungen Familien in voller Besetzung ein Großteil derer, die durch die Fußgängerzone gehen. Auf die Frage, ob sie niemanden habe, der ihr vielleicht mit den Einkäufen helfe, erwidert eine Seniorin mit Rollator, dass sie mit ihren über 80 Jahren keine Angst vor dem Virus habe. Sie habe Schlimmeres überstanden. Geimpft sei sie noch nicht. Sie wisse auch gar nicht, wie sie einen Termin erhalte. „Das wird mein Hausarzt schon wissen“, sagt sie auf den Hinweis, dass man es ihr im Zweifel durchaus erklären könne. Diszipliniert geht es derweil auf dem Marktplatz zu. Der Andrang ist überschaubar und an den Ständen achten die Marktbeschicker darauf, dass Abstände und die Maskenpflicht eingehalten werden. Zahlreiche Verkäufer haben Markierungen und Hinweisschilder angebracht.
Ab dem nächsten Markt am Mittwoch, 27. Januar, müssen auch hier medizinische Masken getragen werden. Noch sind selbstgenähte und individuelle Stoffmasken in der Überzahl. Am Rande des Wochenmarktes stehen Grüppchen zusammen. Man unterhält sich, trinkt den Kaffee aus dem To-Go Bescher und alles wirkt fast ein wenig „normal“. Die Nachfrage, ob man glaube, dass man mit so einem gemütlichen Zusammenstehen gegen die Regeln verstoße, wird mit der Erklärung vom Tisch gewischt, dass man sich ja schon privat nicht verabreden dürfe. Daher habe man es sich angewöhnt, sich ganz locker am Rande des Wochenmarkts zu treffen. Ob man die „Corona-Polizei“ sei, möchte einer der Umstehenden im spöttischen Ton wissen und erzählt etwas von „Stasi-Methoden“ und „Stimmungsmache“. Fakt ist: zehn Personen aus – wie sie selbst zugeben – fünf Haushalten stehen beieinander und diskutieren mit zum Teil heruntergenommenen Mundschutz, weil man sich sonst „so schlecht versteht“. Sie seien ja auch nicht krank, sagt einer.
Zurück beim Bäcker erzählt eine Kundin gerade, dass sie eine Befreiung von der Maskenpflicht habe, die habe sie zwar nicht dabei, aber das gehe schon in Ordnung. Ein Mann verlässt daher das Geschäft. „Es sind alle gereizt“, sagt er. „Das muss ich mir nicht geben. Ich bleibe nächste Woche am Samstag zuhause“. Unter der Woche sei es nicht so voll. Er glaube, dass die Mitbürger sich einfach nicht von Wochenend-Routinen trennen wollen, solange sie nicht selbst betroffen seien. Er selbst kenne Menschen, die erkrankten. „Vielleicht bin ich daher vorsichtiger.“
Ab heute, 25. Januar, gilt der verlängerte und verschärfte Shutdown. Unter anderem müssen in Geschäften medizinische Masken getragen werden.

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