Stormarner Tageblatt 29.03.2021
Wie viele Gewerbeflächen benötigt Bad Oldesloe? – Fronten sind verhärtet
Patrick Niemeier Wie viel Wachstum ist in Bad Oldesloe noch möglich? Wie naiv ist ein Verzicht auf weitere Einnahmemöglichkeiten? Wer denkt pragmatisch und wer hängt an Ideologien fest? Die Diskussionen über neue Gewerbeflächen in der Stormarner Kreisstadt ist in den vergangenen Wochen voll entbrannt.
Fakt sei, das stellte Detlev Hinselmann von der Wirtschafts-Aufbaugesellschaft Stormarn (WAS) noch einmal klar, dass entgegen manch anderer Behauptungen die Nachfrage und der Bedarf vorhanden sei. „Es geht hier darum, für Bad Oldesloe neues Gewerbe anzusiedeln. Und um nichts anderes“, sagte er zu Plänen eines neuen Gewerbegebiets im Westen der Kreisstadt.
Anwohner fürchten um ihr Naherholungsgebiet
Anwohner aus dem benachbarten Wohngebiet sehen das anders. Sie seien hier vor 20 Jahren hergezogen, weil es ein Wohnen in der Natur sei. Gerade jetzt in der Corona-Pandemie habe sich die nahe Natur als Ort für Spaziergänge bewährt.
Städte haben nur begrenzte Möglichkeiten, um Einnahmen zu erzielen. Eine wichtige ist dabei die Gewerbesteuer. Und genau in diesem Bereich würde eben neues Gewerbe für bessere Zahlen sorgen, erklärte Hinselmann. Geplant ist es, dass die WAS für die Stadt das Gewerbegebiet erschließt.
„Wir haben ein Travebad, eine Bibliothek und ein tolles Kultur- und Bildungszentrum – wie großartig ist das eigentlich?“, fragte Frederik Gronwald aus dem Wirtschaftsbeirat, die Lokalpolitiker. Doch diese wichtigen Einrichtungen kosten die Stadt Geld und um sie zu erhalten, müssten mit Blick auf das strukturelle Defizit der Stadt neue Einnahmen generiert werden.
„Es ist unglaublich, dass von einigen Seiten die Diskussion über ein Gewerbegebiet so geführt wird, als würden wir hier über ein Atommülllager sprechen“, sagte er. Wer der Zukunft der Stadt nicht im Wege stehen wolle, wer diese sicher und mitgestalten wolle, der könne nicht gegen die Ansiedlung neues Gewerbes sein.
Nicht gut kam es beim Wirtschaftsbeirat und Teilen der Politik an, dass Gronwald auf eine kurze Redezeit hingewiesen wurde, nachdem zuvor lange über Wohnbebauung an anderer Stelle gesprochen worden war.
Annika Dietel von der SPD sah es aber auch nach Hinselmanns und Gronwalds Aussagen nicht so, dass mehr Gewerbe die einzige Lösung für die Stadt sein könne. „Vielleicht muss man irgendwann sagen, dass das mit dem Wachstum endlich ist. Wir können nicht hier und da einfach immer neue Gewerbegebiete entstehen lassen. Wenn dieses kommt, wird das nächste schon in der Planung sein“, sagte die Sozialdemokratin.
Die Oldesloer Grünen verlangten, dass mindestens klare, harte Regeln für Investoren und Bauherren aufgestellt werden und erhielten dabei Unterstützung von Dietel sowie von FDP, Die Linke und Stadtfraktion.
Zu den aufgestellten Regeln gehört unter anderem, dass Solaranlagen auf neuen Gewerbebauten eingerichtet werden, Schotterflächen untersagt sind, nicht bebaute Flächen begrünt werden müssen und die Versiegelung des Bodens minimiert wird. Die Wärmeversorgung müsse über klimaneutrale Fernwärme sichergestellt werden.
Keine weiteren Großlager oder Logistiker
Man konnte sich auch gemeinsam darauf einigen, dass Großlager, Logistikunternehmen, Autohöfe und großflächiger Einzelhandel in dem Gewerbegebiet im Westen ausgeschlossen werden. Dieser Punkt wurde vor allem nach den negativen Erfahrungen mit einem privaten Investor an der Bergkoppel am anderen Ende der Stadt aufgenommen. Gegen die unpopuläre Ansiedlung der Logistikzentren von Amazon und Asklepios war dort die Stadt machtlos.
Außerdem müssen laut dem Beschluss im Stadtgebiet ausreichend Ausgleichsflächen geschaffen werden. Besonders im Fokus liegt dabei die Bullenkoppel, die von manchen Oldesloern allerdings immer wieder für eine Wohnbebauung in Betracht gezogen wurde.
Die FBO konnte sich mit einem Antrag nicht durchsetzen, ein Mischgebiet aus Wohnen und Gewerben zu favorisieren. „Das kommt mir vor wie der 1. April, was Sie hier vorschlagen“, zeigte sich Jens Wieck (CDU) fassunglos. Immer wieder fordere die FBO mehr Einnahmen für die Stadt, aber wenn Gewerbe angesiedelt werden soll, versuche sie das zu verhindern.
Während für das Gewerbegebiet im Westen der Aufstellungsbeschluss mehrheitlich gegen den Protest der Anwohner auf den Weg gebracht wurde, sieht es bei einem zweiten, möglichen Gewerbegebiet zwischen Bad Oldesloe und Rethwischdorf noch anders aus.
Das soll zwar auch erst in fernerer Zukunft entstehen, aber die Lokalpolitiker verweigerten zunächst einen Grundsatzbeschluss, dass man es überhaupt gemeinsam mit Rethwischdorf weiterdenke.
Das Thema wurde in den Wirtschafts- und Planungsausschuss verwiesen. Die Grünen machten deutlich, dass sie die Fläche eigentlich für Anlagen zur Gewinnung alternativer Energien im Auge hätten. Es müsse geklärt werden, ob der Bereich nicht dafür nötiger gebraucht werde. Außerdem wurde erneut auch das Thema Bodenversiegelung auf den Tisch gebracht.
SPD und Grüne erklärten, dass eine immer weiter fortschreitende Versiegelung weiter Flächen nicht mit ihnen zu machen sei.
Anwohner sehen ihre Häuser im Gewerbegebiet
Auch in diesen Bereich beschwerten sich außerdem Anwohner. Denn sie hatten irritiert entdeckt, dass sie laut Plan ihrer Wohnhäuser plötzlich an oder sogar in einem Gewerbegebiet liegen würden. Aus Sicht von Bürgermeister Jörg Lembke ein vollkommen normaler Vorgang. „Eine solche Überplanung kann passieren und ist an der Tagesordnung. Natürlich können sie sich dazu äußern und natürlich könnten sie sich dann weigern, ihr Haus oder Grundstück zu verkaufen“, sagte der Verwaltungschef. Doch all das sei genau wie eine mögliche Verkehrsanbindung und andere Fragen „noch ewig in der Zukunft“.