Stormarner Wochenschau: Von Fragen und Regeln

Stormarner Tageblatt  05.06.2021

Von Fragen und Regeln

Karikatur: Megi Balzer
Karikatur: Megi Balzer

Guido Behsen und Patrick Niemeier

Fragen bleiben
Ein Urteil, aber kein Schlussstrich. Der junge Mann, der auf einem Spielplatz in Grönwohld seinen Bekannten mit 27 Messerstichen tötete, muss für 10 Jahre ins Gefängnis. Es war Totschlag, befand das Gericht. Es war Mord, sagt die Familie des Opfers, die eine lebenslange Haft gefordert hatte. Doch abgesehen von der komplizierten juristischen Bewertung lässt das Verbrechen die Bewohner der beschaulichen Gemeinde mit vielen Fragen zurück. Wie soll das Leben der Eltern und des Bruders des Getöteten angesichts des Verlustes weitergehen, zumal doch die Familie des Täters praktisch um die Ecke wohnt? Wie konnte der Täter, den Nachbarn als höflichen, zuvorkommenden Jungen kannten, in ein von Drogen und offenbar auch rechtsradikalem Gedankengut durchdrungenes Milieu abdriften – in einem Dorf, das als „Büttenwarder“ wie kaum ein anderes für norddeutsche Idylle steht? Und wie kann es sein, dass ausgerechnet hier und im Grunde vor aller Leute Augen aus einem Spiel- ein Drogenumschlagplatz wurde, auf dem sich schließlich das entsetzliche Verbrechen zutrug? Diese Fragen beschäftigen die Menschen im Ort nicht erst seit dem Urteil am Donnerstag. Und sie werden sich auch in Zukunft mit ihnen auseinandersetzen müssen. Das Grönwohld von heute ist nicht mehr das Grönwohld von vor dem 21. Oktober 2020, dem Tag, als das Unvorstellbare geschah.

Jammerig
Nachdem im vergangenen Jahr eine Art Wettbewerb zu entstehen schien, wer denn nun wie systemrelevant ist und wer in welcher Form von Regeln ausgenommen werden müsste oder irgendwelche Boni kassieren sollte, verschiebt sich die Diskussion gerade in die Richtung, wer denn am meisten unter der Pandemie gelitten hat. Die Kulturszene rufen die einen, die Sportler rufen die anderen, Singles, psychisch Erkrankte, chronisch Kranke, Patienten in Krankenhäusern, Menschen in Altenheimen und die Familien, rufen die anderen . Im Endeffekt könnte man sich vermutlich darauf einigen, dass alle gleich von der Pandemie betroffen waren oder es gar keine Vergleichbarkeit gibt, bei einer Sache, die jeder individuell anders auffasst und verarbeitet. Das Aufwiegen des unterschiedlichen Leids gerät teilweise zu einem Wettstreit der unterschiedlichen Lobbyisten. Natürlich müssen Kinderschutzverbände nun die Kinder in den Mittelpunkt rücken und natürlich müssen Vertreter der Sport- oder Kulturszene ihre Bereiche als besonders hart betroffen ansehen. Umso näher man an einem Thema ist, desto betroffener macht einen das Leid. Auch hier würde aber ein bisschen weniger Pathos an manchen Stellen helfen, um tatsächlich pragmatisch das Geschehene und noch Geschehende aufzuarbeiten – gemeinsam.

Regelkunde
Der Aufschrei bei manchen Oldesloern ist groß. Jetzt öffnet das Freibad Poggensee schon und dann ist Planschen und Toben im flachen Wasser erstmal noch verboten. Schnell kochen die Emotionen über und den Stadtwerken und den neuen Betreibern wird Versagen vorgeworfen. Ganz schlimme kinderfeindliche Menschen müssen das sein, die da mutwillig das Freibadvergnügen torpedieren. Natürlich mutet es etwas absurd an, wenn in einem Natur-Freibad nur Bahnenschwimmen ermöglicht wird, aber wer einen Blick in die Landesverordnung wirft, wird feststellen, dass es genau zwei Optionen gibt: Bahnenschwimmen oder geschlossen lassen. Bei den nächsten Lockerungsschriten und weiter sinkenden Inzidenzen könnten die nächsten Lockerungen durchaus bald kommen. Bis dahin wäre es vielleicht angebracht, einfach das zu Nutzen, was geboten wird – auch wenn manche Regelungen scheinbar absurde Blüten treiben. Die Schuld liegt sicherlich nicht bei denen, die sich an diese halten müssen.

Restart
Während die dritte Corona-Welle abklingt und dieses Mal das Licht am Ende des Tunnels heller wird, fängt der Kampf um den Restart an. Geradezu marktschreierisch wird nun um die Rückkehrer ins kulturelle und kommerzielle Leben gebuhlt. Das ist einerseits verständlich, waren doch manche Bereiche gefangen im Shutdown. Sie müssen dringend auch finanziell Verpasstes aufholen. Doch man wird wohl aufpassen müssen, dass man sich langfristig nicht mit viel Ellenbogeneinsatz gegenseitig kannibalisiert.

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