Gastro trotzt dem Fachkräfte-Mangel

Stormarner Tageblatt  09.06.2021

Jeder 9. Beschäftigte hat das Hotel- und Gaststättengewerbe in Stormarn in einem Jahr verlassen

Patrick Niemeier und Volker Stolten

Kurzarbeit, mehrere Shutdowns und sich häufig ändernde Auflagen. Die Corona-Krise hat die Gastronomie bekanntlich schwer erwischt. Als sich jetzt die Öffnungen als Silberstreif am Horizont abzeichneten, kam für viele Wirte der nächste Schock: Es sind immer weniger Kräfte da, die die Gäste bewirten können. Grund: Durch die Corona-Begleitumstände sahen sich Mitarbeiter gezwungen, in andere Branchen abzuwandern oder umzusatteln, um finanziell überleben zu können. Dabei war im Gastronomie-Gewerbe bereits vor der Pandemie in Sachen Fachkräften vielerorts der Wurm drin. Bei der NGG – der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten – schrillen die Alarmglocken. Auch was den Kreis Stormarn angeht: Dort hat laut der Gewerkschaft fast jeder 9. Beschäftigte das Gewerbe innerhalb eines Jahres verlassen. Ein Notstand, der mit Zahlen der Arbeitsagentur unterfüttert wird. Allein zwischen Juni 2019 und Juni 2020 hat das Hotel- und Gaststättengewerbe im Kreis 370 Beschäftigte verloren ein Minus von 11 Prozent. Seit Herbst seien weitere hinzugekommen und hätten die Lage zusätzlich verschärft, ist sich die NGG sicher. „Das Gastgewerbe blutet seit Beginn der Pandemie personell aus“, konstatiert Silke Kettner von der NGG. Ähnlich sieht das der Stormarner Dehoga-Chef Dirk Steenbock (Braaker Krug): „Der Fachkräfte-Mangel war vor Corona da, ist noch extremer geworden und wird uns auch noch lange beschäftigen.“ Vor allem würden Köche händeringend gesucht, weiß der Kreischef des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes aus zahlreichen Rückmeldungen. Die Ausbildung sei in der Pandemie ziemlich auf der Strecke geblieben. Dass so viele Beschäftigte abgewandert sind, sei sehr schade, aber nachvollziehbar. Es sei für viele trotz Kurzarbeitergeld einfach nicht finanzierbar gewesen, erklärt Steenbock: „Diese Fachkräfte sind leider für immer verloren.“ Nun gelte es, nach vorne zu schauen: „Es kann nur aufwärts gehen! “
Alessio Zagari, Chef des Restaurants Laurent und der Bar Laurent in der Oldesloer Innenstadt, kennt die Probleme der Branche. Er selbst habe die gesamte Zeit über versucht, sein Personal irgendwie einsetzen zu können und auch Optimismus zu verbreiten – letztendlich mit Erfolg. „Ein Kapitän wirst du nicht, wenn die See ruhig ist. Ein Kapitän wirst du, wenn es viele Wellen und unruhige See gibt“, weiß er. Er habe früh in seiner Ausbildung gelernt, dass ein Gastronom auf alles gefasst sein müsse. Die, die gut aufgestellt waren, könnten jetzt auch Personal für sich begeistern. Er habe versucht darauf zu achten, dass seine Mitarbeiter finanziell die Krise überstehen. So konnten einige beim Lieferservice mithelfen. Viele, die die Branche in der Pandemie sehr schnell verlassen hätten, seien auch nicht immer mit Herzblut dabei gewesen. Und ohne Leidenschaft und Optimismus gehe es in der Gastronomie nicht.
„Ich kenne da viele Geschichten, vor allem aus Hamburg. Da haben jetzt einige festgestellt, dass sie einen neuen Job haben, in dem sie mehr verdienen können oder dass es ihnen mehr liegt. Die kommen halt nicht zurück, da kann man niemandem böse sein“, weiß Zagari. Gute Gastronomen und Barbesitzer wüssten, dass ihre Mitarbeiter ein großes Kapital seien. Mittlerweile kehren jetzt die Stammkunden zurück und freuen sich, dass sie ihren Barkeeper, die Kellnerin und den Koch noch kennen. „Das ist Gold wert. Sonst musst du zum Teil von vorne anfangen, dann gehen Leute pleite“, betont Zagari die Bedeutung des Personals. Wer allen gekündigt habe, mit Beginn der Krise, bekomme nun auch nur schwer Ersatz. So etwas spricht sich eben rum. Es galt also durchzuhalten.
Das sieht auch Franco Magaldi von Ristorante Pinocchio in Bad Oldesloe so. „Ich habe das Gehalt meiner Angestellten aufgestockt, so lange das irgendwie finanziell für uns möglich war. Ich weiß, dass da Familien dran hängen, dass da Leben und Schicksale hinterstehen“, sagt Magaldi. Irgendwann habe er das leider nicht mehr leisten können und auch jetzt seien noch nicht alle Mitarbeiter aus der Kurzarbeit zurück, aber es gehe mit den Öffnungen immer weiter bergauf. „Ich habe aber meinen Mitarbeitern vorgelebt, dass ich alles dafür gebe, dass es weitergehen kann“, sagt Magaldi. Er sei selbst für sechs Monate in einem anderen Job arbeiten gegangen. In einem pharmazeutischen Unternehmen verdiente er das notwendige Geld, um das Restaurant und seine Familie über Wasser zu halten. „Auch das war für meine Mitarbeiter ein wichtiges Signal: Der liegt nicht zuhause rum, der versucht alles. Ich denke, dass das auch honoriert wurde, dass man gesehen hat, dass es wirklich nicht anders ging. Ich bin sehr froh, dass mein Personal noch da ist“, sagt der bekannte Oldesloer Gastronom

Dieser Beitrag wurde unter Presseartikel veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.