Stormarner Tageblatt 16.10.2021
Sichtweisen und Nachspiel
Guido Behsen, Patrick Niemeier und Susanne Link
Sichtweise
Mit einem Latte Macchiato mit fachmännischer Schaumkrone in der Hand, im Kaminzimmer sitzen und dem leisen Knistern der Schallplatte auf dem Plattenspieler lauschen – ist das der Arbeitsplatz der Zukunft? Wohl eher nicht. Man stelle sich nur Handwerker, Pflegekräfte, Bauarbeiter, Feuerwehrkräfte und Polizeibeamte in jener Szenerie vor. Wirkt irgendwie nicht realistisch, oder?
Apropos Job der Zukunft: Jüngere Menschen seien nicht mehr bereit 40 Minuten zur Arbeit zu fahren, jüngere studierte Menschen würden nur noch 30 Stunden die Woche arbeiten wollen, meinen einige Experten – ist dem wirklich so? Ist es nicht eher so, dass in Branchen, in denen Fachkräfte händeringend gesucht werden, die Arbeitgeber ein bisschen mehr bieten müssten – ganz unabhängig vom Alter? Nach dem klassischen Prinzip von Angebot und Nachfrage.
Verallgemeinerungen sind nervig – übrigens nicht nur bezüglich des Themas Job der Zukunft, sondern eigentlich grundsätzlich. Es wird 20-jährige studierte Menschen geben, von morgens bis abends arbeitend – fern ab einer 30-Stunden-Woche. Und die das lieben was sie tun. Und es wird junge Menschen geben, die für ihren Traumjob auch Pendelzeiten von über einer Stunde in Kauf nehmen. Einer ganzen Generation zu unterstellen, nur noch Spaß bei der Erfüllung des Jobs zu suchen, ist wahrlich zu einfach – und auch recht ärgerlich. Denn sie fördert doch nur den Generationenkonflikt. Die Vorstellung von der faulen, verwöhnten Jugend, die keinen Finger mehr krumm macht. Und der alten, arbeitenden Generation. Das ist ärgerlich. Gibt auch alte, faule Menschen und jung-dynamische. Und es gibt Arbeitnehmer, die neben Kicker und Schallplatte gar nicht arbeiten könnten.
Gerecht
Für Veranstalter oder auch Kirchengemeinden ist es keine einfache Frage, welche Regelungen sie treffen wollen, um ihre Gäste zu empfangen. 3 G (geimpft, genesen, getestet), 2 G (geimpft oder genesen) oder 3 G+ (geimpft, getestet oder PCR-Test)? Seit Beginn der Woche gibt es nur noch für wenige Mitmenschen kostenlose Bürgertests. So dass es gefühlt sowieso ein „2 G light“ ist. Wäre es fairer daher gar keine G-Regelung aber dafür Mund- und Nasenschutz, Beschränkungen und Abstände beizubehalten oder wieder zu verschärfen? Manche treffen die Entscheidungen so und andere wieder anders. Vorwürfe gibt es jedes Mal. Vor allem für Veranstalter ist es oft eine finanzielle Notwendigkeit, möglichst alle Plätze besetzen zu können. Ist das zu viel Druck auf Ungeimpfte? Oder ist es ungerecht für alle Genesenen und Geimpften, dass sie sich für die Ungeimpften einschränken sollen? Und was ist mit den Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Wer nimmt wann auf wen Rücksicht? Die freiwillig Ungeimpften auf die freiwillig Geimpften, die Geimpften auf die unfreiwillig Ungeimpften? Wie so oft in der Pandemie stehen Frage von Ethik und Solidarität im Mittelpunkt. Am Ende geht es um mehr als nur darum, wie man durch die Pandemie kommt.
Nachspiel
Meldungen über Jagdszenen auf Amateurfußballplätzen sind leider keine Seltenheit. Daher mag man geneigt sein, sie mit einem Kopfschütteln, vielleicht sogar mit einem verständnislosen Lächeln abzutun. Doch das wäre falsch. Wer einmal Zeuge oder sogar Opfer von Taten wurde, wie sie sich am vergangenen Wochenende beim Verbandsligaspiel Rapid Lübeck gegen SV Hamberge zugetragen haben, als laut Augenzeugen mehrere Hamberger Spieler durch Faustschläge verletzt wurden, der weiß, welche Folgen Schläge und Tritte weit über die unmittelbaren körperlichen Schmerzen hinaus haben können. Es wäre nicht das erste Mal, dass Betroffene, seien es Spieler oder viel zu oft auch Schiedsrichter, nicht mehr in der Lage sind, ihr geliebtes Hobby auszuüben, weil sie das Erlebte psychisch nicht verarbeiten können. Auch vor diesem Hintergrund ist die Suspendierung des Lübecker Spielers, der die Schlägerei angezettelt hatte, die einzig richtige Konsequenz. Das Sportgericht dürfte zudem drakonische Strafen verhängen. Und auch das zu erwartende zivilrechtliche Nachspiel haben sich der oder die betreffenden Akteure selbst zuzuschreiben. Sport darf gern dazu dienen, Aggressionen, die sich im Laufe einer Woche angestaut haben, abzubauen. Doch er ist nicht dazu da, um sie auszuleben.