Stormarner Tageblatt 25.03.2022
Art der Kommunikation mit Menschen aus Ukraine erntet Kritik / Bürgermeister Jörg Lembke verärgert
Patrick Niemeier und Finn Fischer
Wenn Geflüchtete aus der Ukraine beim Anblick einer Unterkunft in Tränen ausbrechen, ist offenbar etwas nicht so gelaufen, wie es sollte. In der Kastanienallee in Bad Oldesloe war das aber – wie berichtet – der Fall. Der Zustand einiger Räume und Flure war laut Helfern so schlecht, dass es sehr emotionale Reaktionen bei den Betroffenen gegeben habe. Doch wie konnte es dazu kommen? Warum ist die Unterkunft so verlebt? Ist die Verwaltung überfordert? Oder wird die Kritik dem Aufwand, den die Kommune betreibt, am Ende nicht gerecht? Alle Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung ließen das sensible Thema auf die Tagesordnung des Hauptausschusses am Mittwoch heben. Einen klaren politischen Auftrag gab es nach emotionaler Diskussion am Ende nicht.
CDU-Vorsitzender Jens Wieck übt Selbstkritik
Die scharfe Kritik an der Verwaltung unter dem aktuellen Bürgermeister Jörg Lembke sei vor allem aus den Reihen der Stadtverordneten gekommen, die seinen Gegenkandidaten Tom Winter (Stadtfraktion) unterstützen, hieß es zur Begründung. Ein Beschluss wäre aus Sicht von FDP, FBO und CDU einem Misstrauensvotum gegen Lembke und seine Mitarbeiter gleich gekommen. Sie stimmten daher gegen einen Antrag, dass die Stadt alle Unterkünfte unterprüfen und eine Koordinationsstelle einführen müsse. „Es ist ganz klar, dass etwas passieren muss. Ich bin da sauer auf viele Menschen: auf Teile der Verwaltung, auf die Johanniter, die die Unterkunft betreuen – und auch auf uns Politiker selbst, dass wir da nicht engagiert genug waren“, sagt Jens Wieck (CDU, Foto). Allerdings sei der Tonfall der Kritiker zu hart gewesen.
Offenbar sei bei der Unterbringung Geflüchteter zu lange versäumt worden, genauer hinzuschauen. „Es ist doch egal, ob sie aus der Ukraine, aus Syrien, dem Iran oder von sonstwo kommen. Sie sollen in sauberen, menschenwürdigen Verhältnissen leben können“, sagt der Ortsvorsitzende der Christdemokraten. „Hätte ich das so gewusst, wäre ich selbst tätig geworden, aber ich kann nicht überall sein“, sagt er. Der Zustand der Immobilie und die daraus resultierende Berichterstattung sowie die Diskussion seien „ohne Frage für Bad Oldesloe beschämend“. Es wäre keine Schande gewesen, wenn man als Verwaltung zugeben hätte, dass man mit der Situation überfordert sei. Dann müsse man über mehr Personal oder vielleicht auch Budgets sprechen, sagt Wieck.
„Aktuell bekommen wir die Personalsituation mit Bordmitteln hin“, erwidert Verwaltungschef Jörg Lembke. „Die Situation wird uns aber länger beschäftigen und natürlich müssen wir dann schauen, ob wir über den Nachtragshaushalt im Juni weitere Stellen benötigen“, führt er weiter aus. Seine Mitarbeiter nahm er gegen die harte Kritik in Schutz: „Was hier für ein Bild von der Verwaltung gezeichnet wird, ist gelinde gesagt eine Frechheit und entspricht nicht im Ansatz der Wahrheit.“ Der Gipfel sei es, disziplinarischen Maßnahmen in den Raum zu stellen. Er bitte darum, dass solche „Angriffe“ gegen seine Mitarbeiter nicht mehr vorkommen.
„Es geht mir darum, dass Geflüchteten geholfen wird. Und Kritik muss geübt werden dürfen. Und sollten Dienstpflichten verletzt worden sein – was zu prüfen ist – muss es erlaubt sein, dienstliche Maßnahmen anzudenken“, beharrte der fraktionslose Andreas Lehmann. Bürgeramtsleiter Thomas Sobczak betonte, dass aus seiner Sicht in der Verwaltung die „Rädchen sehr gut ineinandergreifen“. Man sei sogar in der komfortablen Situation, dass mehrere Mitarbeiter Russisch und Ukrainisch sprechen. Dass Geflüchtete nicht freundlich behandelt würden, decke sich nicht mit seiner Wahrnehmung. Die Behauptung sei schon „stark unter der Gürtellinie“.
Mit Kritik an den Johannitern sei er „vorsichtig“, führte Sobczak weiter aus. Soweit er es wisse, funktioniere der Informationsfluss und es gebe durchaus auch Schadensmeldungen, die dann abgearbeitet werden. „Wir werden uns nun aber natürlich damit nochmal näher auseinandersetzen und das auch besprechen“, sagt der Bürgeramtsleiter. „Ich bin schon überrascht und betroffen, wenn ich die Bilder aus der Unterkunft sehe. Und das hat nichts mit einer Missachtung von Verwaltungsmitarbeitern zu tun“, entgegnete Torben Klöhn (SPD). Die Situation müsse sich so schnell es geht verbessern.
Man sei unterdessen auf der Suche nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten, sagte Sobzack. 115 Geflüchtete aus der Ukraine seien momentan in Bad Oldesloe untergebracht, davon 25 in der Kastanienallee, 22 in der Kurparkschule. Zusätzlich stünden 13 städtisch angemietete Wohnungen zur Verfügung. Die übrigen Geflüchteten konnten bisher bei Privatpersonen untergebracht werden, die offiziell ihre Hilfe angeboten hatten. Sobczak geht davon aus, dass in ganz Stormarn ungefähr 3000 Flüchtlinge ankommen könnten. Auf Bad Oldesloe würden prozentual etwas über 10 Prozent verteilt. Somit sei mit mehr als doppelt so vielen Geflüchteten wie aktuell zu rechnen: „Aber so ganz genau kann man das natürlich alles nicht prophezeien und planen.“