Stormarner Tageblatt 24.09.2022
Kostenlose Verteilaktion soll heute für regionale Produkte werben und auf Missstände hinweisen
Joshua Hirschfeld
Die Apfelernte ist in vollem Gange. Und doch: Gute Laune will bei den Obstbauern und -händlern in Stormarn nicht aufkommen. Kaufzurückhaltung, explodierende Energiepreise und niedrige Großhandelspreise setzen der Branche zu. Heute wollen die Bauern nun bundesweit auf den Wochenmärkten Äpfel verschenken, um für ihre regionalen Produkte zu werben.
„Die letzten drei, vier Jahre waren eine Katastrophe“, fasst Hans-Wilhelm Nagel die Situation zusammen. Seit 42 Jahren steht er jede Woche aufs Neue auf dem Bad Oldesloer Marktplatz und verkauft die Erzeugnisse seines Obsthofes. „Wir haben super Äpfel hier, und gleichzeitig werden welche aus Neuseeland hergeflogen. Das ist doch irre“, beschwert er sich. Obstimporte, in der Regel aus Billiglohnländern, machen den deutschen Bauern das Leben schwer. Zuletzt haben die Einfuhren aus osteuropäischen Ländern wie Polen merklich zugenommen, berichtet Nagel. Durch den Ukraine-Krieg und die verhängten Sanktionen können die Bauern und Händler von dort ihre Waren nicht mehr nach Russland verkaufen – und drängen auf den deutschen Markt.
Das wiederum macht sich dann im Großhandel bemerkbar. Rund 30 Cent pro Kilo Äpfel werde er in diesem Jahr wohl von den Großkonzernen wie Aldi bekommen, schätzt Hans-Wilhelm Nagel. Seine Produktionskosten liegen bei 60 Cent pro Kilo. „Wie soll ich das aushalten?“, fragt sich der Obstbauer. „Sowas kann man nicht überleben.“ 95 Prozent seiner Ernte verkauft er über den Großhandel.
Nagel baut seine Äpfel im Alten Land an. Drei Apfelbauern gibt es allerdings auch in Stormarn. Auf rund sieben Hektar Fläche bauen sie hier ihr Obst an. Zwar setzten diese Landwirte vor allem auf eine Direktvermarktung ihrer Äpfel, sagt Peter Koll, Geschäftsführer des Kreisbauernverbands Stormarn. Und doch: „Es macht sich natürlich schon bemerkbar, wenn die Äpfel im Lebensmitteleinzelhandel deutlich günstiger angeboten werden.“
Bemerkbar machten sich zudem auch die hohen Energiepreise. Gerade für die Kühlung des Obstes werden große Mengen Strom verbraucht. In den Kühllagern bleiben die Äpfel teilweise bis zu einem Jahr, erklärt Koll. Dazu kämen Preisverdopplungen bei Kraftstoffen und Teuerungen bei Düngemitteln von rund 200 Prozent. In der Branche fürchtet man, dass auch die Nachfrage nach Obst zurückgehen könnte. Die grassierende Inflation könnte bei den Kunden zu einer Kaufzurückhaltung führen, gerade bei den teureren Bio-Produkten, vermutet Koll.
Eine solche Zurückhaltung spürt Bio-Lebensmittelhändler Jürgen Wulff allerdings noch nicht. „Zurzeit merken wir da keinen großen Unterschied“, sagt er. Wie Hans-Wilhelm Nagel verkauft auch er auf dem Bad Oldesloer Wochenmarkt seine Produkte. Seit 26 Jahren ist er dabei. Von den teureren deutschen Lieferanten auf ausländische Produzenten umzusteigen, die vor allem durch geringere Löhne billiger verkaufen können, kommt für Wulff nicht infrage. Loyalität gegenüber seinen Lieferanten sei ihm unheimlich wichtig, sagt er.
Mit der Aktion „Zeit der deutschen Äpfel – natürlich von nebenan“ wollen Bauern und Händler heute ein Zeichen für den regionalen Anbau setzen. Auf den Wochenmärkten der Republik werden dazu Äpfel gratis an die Marktgänger verschenkt. Die Branche hofft, die Menschen zu animieren, zukünftig zu Obst aus der Region zu greifen. Damit die Apfelbauern eine Zukunft haben, müsse sich an der gegenwärtigen Situation schnell etwas ändern, fordert Bauer Nagel. „Denn sonst gibt es in zehn Jahren keine deutschen Bauern mehr.“