Stormarner Wochenschau: Bekannt von Demos und aus dem TV

Stormarner Tageblatt  14.08.2021

Bekannt von Demos und aus dem TV

Megi Balzer
Megi Balzer

Guido Behsen und Patrick Niemeier

Preis? Verdächtig!
Nach dem Preis ist vor dem Preis? Nicht im Fall des neu geschaffenen „Kulturpreises für nachhaltige und innovative Ideen im Kreis Stormarn“. Denn dieser Preis war nicht heiß, sondern höchstens heikel, entsprechend gibt es wohl keine zweite Auflage. „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt“, heißt das mit 10.000 Euro ausgezeichnete Projekt. Klingt so simpel wie unverfänglich. Doch die Hintergründe sind verdächtig. Die beiden Preisträger stehen offenbar im Dunstkreis der vom Verfassungsschutz wegen ihrer Demokratiefeindlichkeit beobachteten Querdenker-Bewegung, sollen sich an Demos gegen Corona-Maßnahmen beteiligt haben und riefen selbst zu sogenannten Mahnwachen auf – angeblich, nachdem die Tochter der Preisträgerin in Folge der Maskenpflicht in der Schule kollabiert sei. Doch weder wurden die Bewerber im Vorfeld der Preisverleihung unter die Lupe genommen, noch änderten die erst in Folge der Verkündung gewonnenen Erkenntnisse etwas an der Entscheidung. Das ist bedenklich und macht eine weitere Frage zur Nebensache: Wenn ein Projekt ausgezeichnet wird, bei dem es den Machern zufolge darum geht, „ein bisschen mit dem Fahrrad in der Nienwohlder Umgebung“ herum zu fahren und zu „gucken was es da abseits der Supermärkte so für Essen gibt“ (hinterher wird noch „lecker gekocht“) – wie muss man sich dann die 13 Projekte vorstellen, die die zehnköpfige Fachjury aus Politik und Kultur für nicht preiswürdig erachtet hat? Nein, um diesen Preis ist es nicht schade, wohl aber um die 10.000 Euro.

Experte? Gesucht!
Die Enthüllungen rund um und die Vorwürfe gegen den bekannten Kinderpsychiater Dr. Michael Winterhoff kommen für so manche Psychiater und Pädagogen nicht überraschend. Schon lange standen seine Thesen auf dem Prüfstand, schon lange stand er aber vor allem auch scharf in der Kritik. Wenig verwunderlich, wenn man mit ein wenig pädagogischem Vorwissen in seine Bestseller reinliest. Und will man wirklich einem Kinderpsychiater vertrauen, der als Synonym für Kinder, die seiner Meinung nach nicht funktionieren den Begriff „Tyrannen“ verwendet?!Ist es seriös Kindern Narzissmus zu unterstellen? Gibt es wissenschaftliche Belege für „kindlichen Narzissmuss“? Sachlich erscheint das alles nicht. Aber es passt gut in das Weltbild mancher Eltern, die dem Kind, das auffällig wird, einfach mal schnell die Rolle des Bösewichts zuschieben konnten. Was für ein egoistischer, schreiender Tyrann, den man dort in die Welt gesetzt hat. Ganz egoistisch sabotiert der nun die Restfamilie in ihrer Entfaltung. Winterhoffs Bücher sind nicht populär, weil sie besonders gut oder wissenschaftlich wertvoll sind, sondern weil sie ein Narrativ bedienen, das gut ankommt. Solche Bücher verkaufen sich gut, egal wie oft sie in Faktenchecks durchfallen. Sie provozieren und sie bieten Ausreden für Eltern, die mit der Erziehung überfordert sind. Denn Schuld sind am Ende nicht nur sie, die bei der Erziehung versagten, sondern das Tyrannen-Kind. Wer erstmal einen Bestseller fabiriziert hat, der kommt auch in diversen Talkshows gerne zu Wort oder wird häufig zitiert. Wer möchte einem Bestseller-Autor schon widersprechen? Das zeigt sich immer wieder. Ein Beispiel ist der Ex-Journalist Udo Ulfkotte, der ein Enthüllungsbuch über den Medienzirkus schrieb, dabei aber selbst an vielen Stellen einem Faktencheck nicht standhält. Von Thilo Sarazins Bestsellern aus der Vorhölle der Statistik-Umdeutung wollen wir mal gar nicht erst anfangen. In der Corona-Pandemie verkaufte der umstrittene Prof. Sucharit Bhakdi seine Thesen zur Corona-Pandemie ebenfalls als Bestseller. Dass vor allem Coronaleugner ihn feierten, während Mediziner-Kollegen sein Werk in Faktenchecks auseinandernahmen, war für seine Anhänger eher eine Randnotiz. Bis zu Antisemitismus-Vorwürfen verkaufte sich sein Werk auch gut. Diese Liste lässt sich ewig fortsetzen. Es gibt Tipps und Tricks für alle möglichen Lebensbereiche und -lagen in Bestsellerform, doch echte seriöse Experten müssen nicht dahinterstecken. Dass nun der Stormarner Schulrat sagt, dass der umstrittene Dr. Winterhoff eben auch gerade daher als seriös und fähig eingestuft wurde, weil er Bestseller geschrieben hat und durch alle möglichen TV-Shows gereicht wurde, zeigt das Grundproblem: Popularität ist niemals Maßstab für Qualität. Oder um es anders zu sagen: „Hundekot muss schmecken, Millionen Fliegen können nicht irren“

Aktiv? Aber richtig!
Darf der das? Nutzt der jetzt sein FSJ aus, um seine Musik populärer zu machen? Neben sehr viel Lob kam auch Kritik an einem Anti-Mobbing-Rap-Song auf, den ein engagierter junger Oldesloer in seinem Freiwilligen Sozialen Jahr an der Theodor-Storm-Schule aufgenommen hat. Der Titel unter seinem Rapper-Pseudonym „Jancky“ hat rund 30 Schüler bei der Produktion begeistert, hat sie motiviert sich über den Schulalltag hinaus in ein Projekt einzubringen und gleichzeitig packt der Titel ein wichtiges Thema an. Damit ist sehr viel gewonnen. Ob das nun die Kernaufgabe eines FSJler ist, ist erstmal unter diesem Blickwinkel eine eher irrwitzig wirkende Frage, die die Redaktion erreichte. Sollte in einer Schule wirklich gerappt werden? Sollte das Wort „digga“ benutzt werden? Ja, wo bleiben denn da die guten Sitten und die gute deutsche Sprache? Rap sei ja gar keine Musik, lautet ein Vorwurf. Das müsse man doch mal in der Zeitung thematisieren. Ja, machen wir gerne hier an dieser Stelle. Um es kurz zu machen: es ist perfekt, dass der junge Musiker die Jugendlichen mit einem Genre begeistert, mit dem sie etwas anfangen können. Es ist gut, dass dabei eine Sprache aus dem jugendlichen Alltag gewählt wird, die nicht den erhobenen Zeigefinger im Vordergrund hat. Es ist ein großartiges Projekt. So muss Schule sein, die sich aus den verknöcherten seit vielen Jahren überkommenen Strukturen befreit und wirklich Schüler in ihrer realen Welt abholen und motivieren möchte. Und das alles rund um das wichtige Mobbing-Thema. Gratulation zum gelungenen Projekt.

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