Stormarner Tageblatt 13.10.2018
Stormarner Wochenschau
Ein Trauerspiel
Rüdiger Klaus Schwarz Es gibt Wochen, an deren Ende die passenden Worte zu finden, überaus schwer fällt. Am Sonntag zur Mittagszeit ist Robin L., 21 Jahre alt und obdachlos in Bad Oldesloe lebend, zu Tode gekommen. Getroffen von zwei Schüssen aus einer Polizeipistole – in der Schützenstraße.
Als wenn das alles nicht schon erschütternd genug wäre, offenbart sich im Nachgang Bedrückendes, das zum Nachdenken zwingt.
Während die Polizeidirektion Ratzeburg in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft in den Stunden nach dem Polizeieinsatz mit tödlichem Ausgang nicht gewillt ist, zu den Geschehnissen Konkretes mitzuteilen („Ja, es gab einen Schusswaffengebrauch …“, von einem Toten ist in dem Zweizeiler nicht die Rede!) und lapidar auf eine Stellungnahme am Folgetag vertröstet, folgt Stunden später aufgrund unserer Veröffentlichung die Kehrtwende: Die Polizeidirektion Lübeck fährt plötzlich mit vollem Geschirr am Tatort auf und beantwortet Medienanfragen. Ungeschickt, um es mal freundlich zu formulieren.
Das große Boulevard-Blatt mit den vier Buchstaben hat da bereits die Rollen unzweideutig verteilt („Polizist erschießt Messermann“). Nicht anders Torsten Gronau, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DpolG). Er sieht sich am Dienstag veranlasst, den Sachverhalt so zu beurteilen: „Nach allen mir vorliegenden Informationen hat es sich sehr eindeutig um einen Fall der Notwehr gehandelt.“ Die Kollegen in Bad Oldesloe hätten mehrere Zwangsmittel wie Warnschuss oder Pfefferspray eingesetzt. Und wenn es dann trotzdem zu solch einer Situation komme, dass ein Beamter die Schusswaffe einsetzen müsse, um sein eigenes Leben zu schützen, dann sei das aus seiner Sicht nur folgerichtig. Ende seiner Erklärung.
„Der Polizeibeamte hat seine polizeiliche Pflicht getan“, äußert sich Jürgen Funk, Behördenleiter der Polizeidirektion Ratzeburg tags drauf. Alles andere als diese Stellungnahme hätte ja auch überrascht.
Über das Opfer ist in den Tagen nach den Todesschüssen viel bekannt geworden, über den Polizisten, der sich genötigt sah, die Schusswaffe zu gebrauchen, so gut wie nichts – außer Alter und Dienstgrad. Er wird psychologisch betreut, wie aus Polizeikreisen zu vernehmen ist. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ist eingeleitet. Ein formaler Akt, der bei Schusswaffengebrauch mit Todesfolge so vorgesehen ist.
Es zeigt sich einmal mehr: Vorverurteilungen einerseits, Freisprüche andererseits sind wenig hilfreich. Im Gegenteil: Sie bringen im wahrsten Sinne des Wortes bekannte Vor-Urteile der jeweiligen Meinungsführer zum Ausdruck (siehe oben).
Die juristische Seite des Oldesloer Geschehnisses wird – wie man annehmen darf – über kurz oder lang zu einem Ende gebracht, die Akte geschlossen sein.
Was aber bleibt?
Es gibt viele vorstellbare Szenarien, in denen Polizeikräfte extremem Stress ausgesetzt sind (u.a. Hamburg G 20) und es gewiss schwer fällt, angemessen genau die Reaktion zu zeigen, die von Berufswegen abverlangt wird. Zählt Bad Oldesloe dazu?
Wer Robin L. jemals begegnet und zudem mit den örtlichen Gegebenheiten des Tatortes vertraut ist, der mag sich nur schwer vorstellen, dass die von den sechs am Einsatz beteiligten Polizeibeamten vorgenommene Ansprache eines in der Stadt bekannten psychisch Kranken – auf offener Straße, vor einer Vorgartenmauer – die adäquate gewesen sein soll zur Befriedung einer angenommenen Gefahrensituation.
Was bedeutet das?
Immer dann, wenn einzelne Menschen miteinander oder gegeneinander agieren, können alle denkbaren Gefühle real, das heißt zu Handlungen werden: Fehler inbegriffen.
Was also, wenn sich, mit einigen Tagen Abstand, der Gedanke breitmachte, dass, ungeachtet aller juristischen Winkelzüge, menschliches Fehlverhalten in dieser Tragödie mit eine Rolle spielte?
Das endlich einmal auszusprechen, wäre ein Anfang, das schreckliche Geschehen zu einem Ende zu bringen, mit dem alle Betroffenen (Hinterbliebene und Schütze gleichermaßen) dann werden leben können.