Stormarner Tageblatt 01.11.2021
Kunstwerk in Bad Oldesloe entstand innerhalb einer Woche an der Fassade eines „Problemhauses“
Patrick Niemeier
Der hydraulische Steiger piept, die Hip-Hop Beats pumpen aus den Boxen, Kinder lachen laut in den Gängen unterhalb der zwei großen Hochhäuser – und mitten in diesem Treiben um sie herum schaut die Streetart-Künstlerin Hera kurz ihr fast fertiges neues Werk an der 36 Meter hohen Fassade an – und sie lächelt kurz.
Seit Tagen hat sie im Hölk in Bad Oldesloe an den großen jugendlichen Figuren gemalt, die einen Fuchs- und eine Wolfskopf zu tragen scheinen. Etwas müde sie sieht sie aus, aber zufrieden – sehr zufrieden, wie sie auf Nachfrage sagt. Jedes ihrer Werke sei individuell: eine eigene Geschichte, ein eigenes Motto mit einem eigenen Hintergrund – mitbestimmt von der Atmosphäre vor Ort und den Menschen, denen sie dort begegnet. Und das weltweit von Großstädten über Flüchtlingslagern bis in Armenvierteln.
In Bad Oldesloe steht ihr Werk unter dem Motto Zusammenhalt. Ein Thema, das bereits im Vorwege mit 14 Schülern einer DAZ-Klasse (Deutsch als Zweitsprache) aus der Kreisstadt herausgearbeitet wurde und das auf mehrfache Weise zu dem Projekt passt.
Es geht bei Zusammenhalt schließlich auch immer um den Gedanken, dass dieser nicht vorhanden ist. Also um das Gefühl ausgegrenzt zu sein, sich ausgegrenzt zu fühlen. Dieses Gefühl kennen nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch zum Beispiel finanziell Schwache oder Menschen, die oft am Rande der Gesellschaft zu stehen scheinen, so wie einige Mieter der beiden Hochhäuser.
Das weiß kaum jemand besser als Quartiersmanagerin Maria Herrmann von Q8, die den Nachbarschafstreff „Plan B“ unterhalb der beiden großen Wohnblöcke mit ihrem Team betreut und die auch an diesem letzten Tag des Projekts etwas müde aussieht, aber zugleich komplett zufrieden. Die Kinder und Jugendlichen die an dem Projekt teilnahmen, mussten schließlich auch versorgt werden und das übernahm Herrmann zusätzlich zu ihren übrigen Aufgaben. „Da werden es schnell 13-Stunden-Tage“, sagt sie. Aber es habe sich gelohnt. Für die Bewohner sei es sehr gut und wichtig, dass sie mit dem Projekt mal im Fokus stehen und es nicht nur um Probleme gehe. Herrmann selbst hat auch einen Stern ausgemalt an dem Wandgemälde „Den roten da oben“, deutet sie in die Höhe. „Ich bin noch ganz geflashed von der Erfahrung“, sagt sie.
Das Konzept von Street-Art passt auch sehr gut in das Quartier, zum Plan B und zu all dem. Denn wie die Künstlerin Hera in einer Pause erklärt, sei Street-Art ein wenig wie ein Jam in der Musik. Jeder bringt seine Ideen und sein Können ein und dann entstehe gemeinsam etwas Neues. Möglich gemacht hat das Ganze Enno Arndt vom Kulturbüro der Stadt Bad Oldesloe. Im Rahmen des Stormarner Kultursommers, der durch die Kulturabteilung des Kreises veranstaltet wird, suchte er die Wand aus und brachte Künstlerin und Quartiersmanagerin zusammen. Jetzt steht auch er vor dem fast fertigen Werk an der 36 Meter hohen Fassade und nickt zufrieden. „Das ist sehr gelungen – alles. Ich bin ganz begeistert. Ich finde das ist für Bad Oldesloe etwas Neues, etwas Besonderes und ich sehe hier noch so viel Potenzial ähnliche Dinge in die Wege zu leiten“, sagt er.
Viel Potenzial bescheinigen die Künstlerin Hera – sowie eine Kulturmanagerin und eine Schulsozialarbeiterin die an den Projekt beteiligt sind – auch einigen der teilnehmenden Schüler aus Serbien, Syrien, Bosnien, Litauen, Irak und Mazedonien.
Die Nachwuchskreativen konnten am Boden an eigenen kleinen Werken arbeiten, während Hera auf dem Steiger das große Bild fertigstellte. Es seien Talente dabei, die wirklich gefördert werden müssen, ist man sich einig.
Jasmin Siddiqui aka Hera weiß wovon sie spricht. Schon als Kind hatte auch sie ihr Faible für die Kunst entdeckt. Auch daher sei es für sie wichtig, Kinder und Jugendliche zu unterstützen und ihre Fantasie und Kreativität zu fördern. Die 1981 in Frankfurt geborene Street-Artista durfte selbst bereits in der achten Klasse eine Wand in ihrer Schule bemalen.
Das Malen und das Sprayen begleitete sie immer weiter. Sie nahm Anfang der 2000er Jahre erste professionelle Spray-Aufträge an. Seit 2004 ist sie gemeinsam mit dem Graffiti-Künstler Falk Lehman alias „Akut“ als „Herakut“ unterwegs. Das Duo ist international aktiv und bekannt.
Auf der Bühne zeigt mittlerweile der durchaus im Internet schon bekanntere Hamburger Rapper „Booz“ sein Können und nimmt es gelassen, dass das Publikum überschaubarer und sicherlich von der Altersstruktur her anders als normalerweise ist. Es ist halt ein Familien-Nachbarschaftsfest mit der Atmosphäre einer Art „Block-Party“ zu der Street-Art und Hip-Hop tatsächlich perfekt passen. Dort schließen sich gewissermaßen die Kreise. Denn diese Kunstformen stammen aus sozialen Brennpunkten und Stadtvierteln in denen es auch oft um Zusammenhalt geht – sich beistehen und füreinander da sein in den Stürmen des alltäglichen Lebens und der Probleme, die es mit sich bringen kann.
100 Meter weiter probieren Kinder aus der Nachbarschaft gerade ein paar Geigen des Musiculum-Musikmobils aus, das ebenfalls zu Gast ist. Das Besondere ist, dass das ganz natürlich wirkt, zwischen Graffiti-Dosen, Hip-Hop-Beats und einem Nachbarschaftstreff unter zwei Hochhäusern, die eher keinen so guten Ruf haben. Doch heute wird hier viel gelacht, gemalt und musiziert. Während das Fest endet, sieht man viele müde Mitwirkende, die aber alle einen zufrieden Gesichtsausdruck haben. „Es ist so toll, das hier was passiert und die Bilder sind großartig“, sagt ein älterer Mann.
Als der Steiger ein letztes Mal piepend herrunterfährt sieht man den Schriftzug, der für Heras Werk in Bad Oldesloe ausgesucht wurde. Er schimmert im Herbstsonnenlicht : „Richtig Großes schaffen wir nur gemeinsam“.