Stormarner Wochenschau: Das Warten und der Gang der Zeit

Patrick Niemeier und Susanne Link

Perspektivfrage
Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit, heißt ein Sprichwort. Jeder Trend, jede Mode, jeder Stil hat seine Epoche. Jeder Hype flaut ab. Was heute noch modern ist, ist morgen schon ein anachronistisches Überbleibsel. So war es auch im Fall des ehemaligen Kaufhaus Nickel in der Lübecker Straße in Bad Oldesloe, das uns mehrere Jahre in der Berichterstattung verfolgte. In den 70er-Jahren war die Alu-Fassade ein Querverweis an die Architektur der Großstädte und ein großer Vollsortimenter in der Innenstadt – eine gefragte Adresse, ein Frequenzbringer. Jedes Ende hat allerdings einen Start und so wird man sich fragen, wann es begann, dass das Kaufhaus nicht mehr gefragt war. Es ist ja nicht so, dass man an einem Tag aufwacht und feststellt, dass Innenstadtkaufhäuser irgendwie aus der Zeit gefallen sind. Es war ein schleichender Abstieg, bis aus der Vorzeigeimmobilie ein Schandfleck wurde. Das Versprechen an eine große Zukunft der Innenstadt war zum Problem geworden. Am Ende bewohnten den lost place nur noch ein paar Vögel, Nagetiere und Menschen ohne sonstige Obdach. Gerade für die ältere Generation könnte der nun laufende Abriss wie eine Zäsur im eigenen Leben wirken und aus bestimmten Perspektiven ist die Zeit in der das Kaufhaus ein Vorzeigeobjekt in Bad Oldesloe war, noch gar nicht so weit entfernt. Und so muss man sich bei dem Abriss auch irgendwie mit der eigenen Vergänglichkeit oder der temporären Natur der Dinge, die man schätzt und liebt. Denn eines steht unausweichlich fest: nichts ist für immer.

Zerreißprobe
Was können Angehörige und Betroffene von einem Gerichtsprozess erwarten? Einen Schlussstrich, wie mit Bleistift gezogen? Darauf das Erlebte und Erlittene besser verarbeiten zu können? Es sind über drei Jahre vergangen seitdem Gülhan Abaci auf der A1 bei einem Unfall ums Leben kam. Nichts wird sie zurück ins Leben bringen können. Ein betrunkener Raser, der zudem noch Kokain konsumiert haben soll, katapultierte die 30-Jährige in ihrem Smart nach Ansicht der Staatsanwaltschaft von der Fahrbahn. Fahrlässige Tötung lautet deshalb der Vorwurf gegen den BMW-Fahrer. Und die Familie wartet seitdem darauf, dass die juristische Aufarbeitung beginnt. Wie eine Glocke schwebe der Gerichtsprozess über dem Trauerprozess, so berichtet es der Bruder der Verstorbenen. Am Donnerstag sollte die Verhandlung beginnen. Alle waren vor Ort. Zusammengebracht durch den schicksalhaften und tragischen Unfall im Jahr 2018. Angeklagter und Opferfamilie. Das entscheidende Kapitel der Aufarbeitung – zumindest der juristischen. Doch am Ende dieses ersten Tages blieb erstmal wieder nur die Trauer. Wieder kein Beginn eines Schlussstriches, nichtmal einer mit Bleistift. Der Grund für die erneute Verschiebung ein scheinbar profaner: Ein Sachverständiger fehlte. Es gab einen Fehler in der Terminplanung. Im April sollte der Prozess schonmal beginnen. Doch auch damals wurde daraus nichts, weil die Richterin erkrankte. Und so wird weiter gewartet: auf eine Entschuldigung, auf Reue und eine juristische Aufarbeitung des Dramas auf der A1.

Keine Zeit
Die Corona-Pandemie hat viele Probleme, die auch zuvor existierten, wie unter einer Lupe deutlicher aufgezeigt. Dazu gehören auch Kompetenzgerangel und lange bürokratische Abläufe. Während die Inzidenzen seit Wochen wieder steigen, immer mehr auch doppelt Geimpfte sich mit dem Virus infizieren, wird noch darüber diskutiert, ob man die Impfzentren wieder öffnet oder nicht. Ernsthaft? Warum eigentlich? Beziehungsweise: warum denn eigentlich konkret nicht? Es ist in einer Pandemielage doch eigentlich nur wichtig, dass die Impfungen für alle Menschenzeitnah angeboten werden können, die sie nutzen wollen. Ob das nun beim Haus- oder Betriebsarzt, im Impfbus oder -zentrum erfolgt, sollte zweitrangig sein. Jeder Weg der geht, sollte genutzt werden können. Es gilt pragmatische und vor allem schnelle Möglichkeiten zu finden. Denn der bürokratische Vorlauf den Entscheidungs- und Abwägungsprozesse benötigen, ist mit Blick auf eine Situation die potenziell Gesundheit und Leben von Menschen bedroht, geradezu ironisch. Wenn festzustellen ist, dass in vielen Schulen bisher tatsächlich abgesehen von „Maske tragen wer will“ und „viel Lüften“ nach über 18 Monaten Pandemie keine weiteren Ideen entwickelt und umgesetzt wurden, dann ist das ein Trauerspiel. Zeitverlust kann in der Auseinandersetzung mit einem Virus auch den Verlust von Leben mit sich bringen.