Stormarner Wochenschau: Wenn die Retter sich selbst retten

Stormarner Tageblatt  13.11.2021

Wenn die Retter sich selbst retten

Hier brennt’s!Karikatur: Megi Balzer
Hier brennt’s!Karikatur: Megi Balzer

Susanne Link, Patrick Niemeier und Volker Stolten

Sparkurs
Die Ahrensburger Lokalpolitik hat sich gewaltig verrechnet und kassiert jetzt eine saftige Quittung: 200 Millionen Euro in den nächsten zehn Jahren. So viel kosten die Pläne, in die die Schlossstadt gerne investieren würde, laut einer Überschlagsrechnung des Finanzausschussvorsitzenden Peter Egan. Einige Pläne seien dabei sogar noch gar nicht eingerechnet. Nun muss also der Rotstift angesetzt und beschlossene Projekte müssen gestrichen werden. „Das kostet Mut“, sagt Bürgermeister Michael Sarach. Doch bitte nicht beim Rathaus-Anbau – schließlich habe er das seinen Mitarbeitern, die jetzt am Stadtrand sitzen, versprochen.
Wenn das allerdings auch bei den anderen Projekten so weiter geht, erleidet der Sparkurs vermutlich Schiffbruch. Sparen, ja bitte – aber woanders. Allerdings trumpft gegen dieses vorschnelle Urteil der Überschlagsrechner Egan mit einer weiteren Rechnung auf: Der Rathaus-Anbau könne sich schnell rechnen, wenn man die derzeitigen Kosten für die Mietbüros gegenüberstellt. Also kleiner Tipp an alle Projekte, die jetzt auf der Abschussliste stehen: Rechnet euch schön!

Hilfe
Die gute Nachricht zuerst: Die Kooperation zwischen Vereinen, zwischen Ehrenamtlern und zwischen den Helfern in Bad Oldesloe funktioniert. Das wusste man schon, das sieht man immer wieder und das ist ein gutes Signal. Ob es im Kulturbereich, im Sport oder unter den Rettungskräften und Lebensrettern ist – die Oldesloer Ehrenamtler halten zusammen, wenn es darauf ankommt.
Und so löschte die Feuerwehr nicht nur Mitte der Woche das Feuer im Vereinsheim der DLRG, sie versucht auch gleich die größte Not zu lindern und bot unbürokratische Hilfe an. Das Zeichen, das davon ausgeht: Man hält zusammen. Zwischen der DLRG und der Stadtpolitik war es in den letzten Jahren nicht immer leicht. Es wäre jetzt der Moment gewesen, in dem die Lokalpolitik die Hand hätte ausstrecken können.
Doch dieser Moment wurde verpasst. Vielleicht, weil man genervt ist von den jahrelangen Diskussionen, vielleicht aus Überlegungen rund um Zuständigkeiten – leider aber ohne Fingerspitzengefühl. Die DLRG fühlte sich nach dem Hauptausschuss am Brandabend wie „Ehrenamtler zweiter Klasse“. SPD, Grüne, Linke und der parteilose Andreas Lehmann waren fassungslos, als FBO, FDP und CDU nicht über die Zukunft der DLRG sprechen wollten. Nicht mal eine Minute, nicht als symbolischer Akt.
Es ist ein verpasster Moment. Niemand wird das aus Boshaftigkeit getan haben. Doch die menschliche Enttäuschung bleibt und neuer politischer Frust.

Zeitenwandel
Früher war alles besser? Mitnichten! Früher war alles anders? Wohl eher! Ein Beispiel: Früher überstieg die Nachfrage das Angebot bei weitem. Heute übersteigt das Angebot die Nachfrage um ein Vielfaches. Früher war man einer von Dutzenden von Bewerbern auf einen Ausbildungsplatz und happy, ausgewählt und genommen worden zu sein. Heute ist das Unternehmen, der Betrieb happy, wenn sich wenigstens einer auf die freie Stelle bewirbt. Vielfach passiert nicht mal das, schauen Firmen vollends in die Röhre. Laut Arbeitsagentur Bad Oldesloe sind in den Kreisen Stormarn und Herzogtum Lauenburg von gut 2600 angebotenen Azubi-Stellen knapp 800 immer noch nicht besetzt. Dabei ist der Ausbildungsstart längst erfolgt.
„Die Unternehmen halten ihr hohes Ausbildungsengagement aufrecht. Umso bedauerlicher ist es, dass derzeit weniger junge Menschen den Weg in die Ausbildungsbetriebe finden“, so Agenturchefin Kathleen Wieczorek. Auch bei der IHK zu Lübeck gehen weniger Ausbildungsverträge ein (minus 3,6 Prozent). Ähnliches Bild bei der Kreishandwerkerschaft Stormarn: Aus Sicht von Geschäftsführer Marcus Krause haben Präsenzmaßnahmen und -angebote gefehlt, um die Jugend zu erreichen und fürs Handwerk zu begeistern.
Und selbst Berufsschulen können vom Nachwuchs-Schwund ein Lied singen. „Betroffen sind mittlerweile auch Ausbildungsgänge, die bisher stabil waren“, merkt Kai Aagardt, Chef der Beruflichen Schule in Bad Oldesloe, an. Hallo, was läuft denn da?
Dass Fachkräfte an allen Ecken und Enden fehlen, setzt der Wirtschaft seit Jahren gewaltig zu. Nun obendrein noch ein Azubi-Notstand.
Kruzifix nochmal. Woran liegt es, dass sich immer weniger junge Leute für eine Ausbildung interessieren? Wie ist es zu diesem Missstand gekommen? Neben Corona durch eine Weniger-ist-mehr-Mentalität? Durch miese Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung? Oder ist es zu einem Großteil eine Null-Bock-Generation oder zumindest eine verweichlichte, die nicht mehr belastbar und überfordert ist? Chillen statt ackern?
Doch das scheint mir zu einfach, zu plump zu sein. Da sind dringend die Experten gefragt und gefordert. Es wird allerhöchste Zeit, dass sich was dreht auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt!

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