Bittet Kreis Geflüchtete zur Kasse ?

Stormarner Tageblatt  05.04.2022

Geflohene in Oldesloe erhalten Rechnungen für Unterbringung / Verwaltung erklärt, wie es dazu kommt

Patrick Niemeier

Sie war erst wenige Tage in Bad Oldesloe, als sie einen Bescheid der Stadt erhielt. Kurz nach ihrer Flucht aus der Ukraine war die schwangere Frau Ende März gemeinsam mit ihrer Tochter in einer Flüchtlingsunterkunft in der Kreisstadt untergekommen. Die Unterbringung gelang schnell, doch genauso schnell arbeitete die Verwaltung. Der Geflüchteten flatterte eine Rechnung für ihre Unterbringung in einem Drittel Klassenzimmer in ihre temporäre Unterkunft.
Für die ersten drei Tage werden dort – laut dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt – 88,81 Euro berechnet. Für den gesamten April soll sie 666,10 Euro bezahlen, zumindest liest sich das offizielle Schreiben so. Für ihre Angehörigen in der Kreisstadt – die Geflüchtete ist die Cousine einer Oldesloerin – ein Schock. Denn weitere Informationen dazu habe die Geflüchtete nicht erhalten.
Der Bescheid wirke durch die formelle Art weder wie eine Willkommenskultur noch sei einwandfrei klar, was nun genau geschehen werde oder zu tun sei. Muss sie selbst die 666,10 Euro aufbringen? Laut dem Schreiben könne sie sich an das Jobcenter Stormarn oder das Sozialamt der Stadt Bad Oldesloe wenden, wenn sie selbst die Mittel nicht aufbringen kann. Doch was genau sie tun muss, welche Konsequenzen das haben kann und vor allem, ob sie zunächst die Rechnung erstmal mit allem was ihr noch an Geldmitteln zur Verfügung steht, überweisen sollte, geht aus dem Schreiben nicht hervor.
Fakt ist, dass in dem Schreiben vom 28. März betont wird, dass sie verpflichtet sei, bis zum 3. Werktag des Monats, also Dienstag, 5. April, den Betrag auf das Konto der Stadt zu überweisen. Die Rechtsgrundlage – Paragraph 24 des Aufenthaltsgesetzes – wird genannt, aber nicht weiter ausgeführt. Drei Familien sollen laut der Angehörigen der Geflüchteten in einem Klassenzimmer untergekommen sein. Heißt das, die Stadt Bad Oldesloe kassiert pro Monat für ein Klassenzimmer knapp 2000 Euro ?
„Die Wohnraumversorgung von wohnungslosen oder geflüchteten Menschen in einer städtischen Unterkunft erfolgt durch eine Zuweisungsverfügung der örtlichen Ordnungsbehörde. Für den Zeitraum der Unterbringung wird für die Inanspruchnahme des Wohnraums eine Nutzungsgebühr erhoben“, erklärt Bürgeramtsleiter Thomas Sobczak. Es sei garantiert nicht so, dass die Stadt sich an der Situation bereichere oder Flüchtlinge einen Nachteil haben.
„Die Nutzungsgebühren wiederum stellen Kosten der Unterkunft im Sinne der verschiedenen Sozialgesetzgebungen – Sozialgesetzbuch II, Sozialgesetzbuch XII, Asylbewerberleistungsgesetz – dar und werden im jeweiligen Leistungsbezug voll anerkannt“, erklärt Sobczak weiter. „In der Konsequenz bedeutet dies, dass den von der Stadt Bad Oldesloe mit Wohnraum versorgten Menschen, solange sie im Bezug von Sozialleistungen stehen, selbst keine Unterbringungskosten entstehen. Der Zahlungsfluss erfolgt in der Regel unmittelbar zwischen den Ordnungs- und Sozialbehörden“, sagt Sobczak.
Aus der Verwaltung heißt es ferner, dass das Verfahren obligatorisch und ständige Praxis sei. Der Stadtverordnete Hartmut Jokisch, der seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe beim Kaktus Verein aktiv ist, ist nach eigener Aussage so ein Schrieb noch nie zuvor untergekommen. „Ich habe davon tatsächlich erst jetzt das erste Mal gehört“, sagt er überrascht. Die Betroffenen seien von Dolmetschern in ihrer Landessprache entsprechend informiert worden, heißt es von Seiten der Verwaltung. Es könne also nicht sein, dass sie komplett überrascht worden sind.
Das sehen Helfer und Angehörige allerdings anders. „Es gibt mehrere Fälle in denen das nicht in dieser Form erfolgt ist, wie es dargestellt wird, hat man mir mitgeteilt“, sagt Tom Winter (Stadtfraktion), der sich ausgiebig mit dem Umgang der Stadt Bad Oldesloe mit Geflüchteten befasst. Dabei könnte es einfacher sein, findet er. Es fehle ihm zum Beispiel eine Art Informationsblatt in der Landessprache für die Geflüchteten. „Was ist, wenn diese Menschen traumatisiert sind und gerade andere Sorgen haben, als sich am nächsten Tag beim Jobcenter zu melden, ohne zu wissen, was sie da erwartet?“, sagt Winter. Es bestehe aus seiner Sicht kein Druck, so zeitnah solche Bescheide zu verschicken.
Auch der fraktions- und parteilose Stadtverordnete Andreas Lehmann betont, dass die Rechnungen in dieser Form so wirken, als müssten die Geflüchteten sie auch tatsächlich so bezahlen. „Selbst wenn es formell richtig ist, was ich auf die Schnelle nicht beurteilen möchte, wirken natürlich 666,10 Euro für ein Drittel Klassenzimmer sehr viel. Aber auch wenn das korrekt ist, würden wir uns eine andere Kommunikation wünschen“, sagt Björn Wahnfried (SPD).
Die Sozialdemokraten kritisieren, dass es bei einigen Mitarbeitern offenbar an Empathie gegenüber den Geflüchteten zu fehlen scheine. „Es sollte doch etwas weniger nur der Fall gesehen werden und mehr der Mensch dahinter. Warum denkt man nicht mehr darüber nach, was es in Menschen auslöst, wenn ihnen bestimmte Schreiben zugestellt werden?“, fragt sich Wahnfried. Ein Informationszettel auf Ukrainisch könne helfen Missverständnisse zu vermeiden und wäre ein sehr guter Schritt. „Ich denke die Führungsebene der Stadtverwaltung hat bestimmt schon Fortbildungen in Sachen Kommunikation gehabt. Da ist aber noch Luft nach oben, damit es besser läuft“, sagt Wahnfried.

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