Bewegende Ausstellung über Opfer der NS-Verfolgung in Bad Oldesloe

Stormarner Tageblatt  20.06.2022

In Zusammenarbeit mit den Arolsen Archives sucht ein Schüler-Projekt Angehörige von Opfern

Claudia Schecker, Europabeauftragte der Beruflichen Schule, und Naim Atoli aus dem 11. Jahrgang.  Susanne Rohde
Claudia Schecker, Europabeauftragte der Beruflichen Schule, und Naim Atoli aus dem 11. Jahrgang. Susanne Rohde

Susanne Rohde-Posern

Auf dem Sportplatz der Beruflichen Schule am Schanzenbarg standen jahrelang jede Menge Container mit Klassenzimmern. Aber die blaue Box, die aktuell dort aufgebaut ist, ist etwas anderes, etwas ganz Besonderes.
Dieser Übersee-Container  tourt nämlich seit zwei Jahren durch ganz Deutschland und präsentiert  jetzt zum ersten Mal in Schleswig-Holstein eine einzigartige Ausstellung. Wenn die beiden Flügeltüren geöffnet werden, erscheint eine ungewöhnliche Wanderausstellung mit dem Titel StolenMemory (deutsch: gestohlene Erinnerung)
Die Arolsen Archives sind Unesco-WelterbeDie beeindruckende Schau gehört zu den Arolsen Archives, einem internationalen Zentrum mit dem weltweit umfassendsten Archiv zu Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Mit einer Sammlung von Hinweisen zu rund 17,5 Millionen von der NS-Verfolgung betroffenen Menschen gehören die Arolsen Archives mit Sitz in der hessischen Kleinstadt Bad Arolsen zum Unesco-Weltdokumentenerbe (arolsen-archives.org).
Die Ausstellung erzählt vom Schicksal vieler KZ-Häftlinge, denen  die Nazis bei ihrer Verhaftung alle persönlichen Gegenstände abnahmen  und verwahrten: Uhren, Schmuck, Eheringe, Füller, Brieftaschen und Familienfotos. Nach dem Krieg kamen diese Gegenstände, sogenannte Effekten, nach Arolsen, mit dem Auftrag, die rechtmäßigen Besitzer oder deren Angehörige zu finden, um ihnen die Erinnerungsstücke zurückzugeben.
Die Arolsen Archives bauten ein umfangreiches Online-Archiv auf und riefen 2016 die Rückgabekampagne #StolenMemory ins Leben. Seitdem suchen Freiwillige aus ganz Europa nach den Familien der Verfolgten. In den vergangenen sechs Jahren konnten auf diese Weise über 600 Familien der Opfer gefunden und ihnen die Erinnerungsstücke zurückgegeben werden.
Schülergruppe übergab Angehörigen eine UhrZu den Freiwilligen gehören auch Schülerinnen und Schüler der Beruflichen Schule, die sich seit 2021 für die gute Sache engagieren. In einem großangelegten Unterrichtsprojekt begaben sich Anfang des Jahres 270 Schülerinnen und Schülern aus sechs polnischen und drei russischen Schulen sowie des Beruflichen Gymnasiums mit ihren Lehrkräften auf die Suche nach gestohlenen Erinnerungen.
Eine Schülergruppe des Drei-Länder-Projekts mit Teilnehmern aus Sankt Petersburg, Gdynia und Bad Oldesloe war schnell erfolgreich und fand die Nichte von Pawel Urlicki in der Nähe von Danzig. Die Nazis hatten den jungen Mann 1943 verhaftet und später in das Konzentrationslager Neuengamme verschleppt.
Eine Gruppe von Schülern und Lehrkräften übergab vor einigen Wochen die Uhren von Pawel Urlicki an seine Nichte im polnischen Lakorz. Für Anna Napierska ist die Uhr das letzte Lebenszeichen ihres Onkels und hat einen unschätzbaren Wert. „Wir haben uns seit mehr als einem Jahr damit beschäftigt und es war sehr viel Arbeit. Es ist toll, dass unsere Gruppe in Polen durch Zufall fündig geworden ist und wir die Uhr zurückgeben konnten“, sagt Naim Atoli aus dem 11. Jahrgang des Berufliochen Gymbnasiums. 
Schüler führen Schüler durch die AusstellungAuch  Lehrerin Claudia Schecker, die das große Engagement ihrer Schule maßgeblich initiiert hat, ist noch ganz überwältigt vom Erfolg dieses ungewöhnlichen Projekts. „Es sind sehr viele Freundschaften entstanden zwischen den polnischen und unseren Schülerinnen und Schülern“, so die Europabeauftragte der Schule, die die Ausstellung zusammen mit Schulleiter Kai Aagardt und Jörn Kreutzer, Mitarbeiter der Arolsen Archives, offiziell eröffnete. Dr. Reimer Möller, Leiter der Dokumentation des KZ Neuengamme, hielt zudem einen spannenden Vortrag über die Hintergründe der Effektensammlung. 

Einblick in Recherche-Arbeit möglich
„Mit der Ausstellung wollen wir allen interessierten Menschen in Stormarn dieses einmalige Projekt vorstellen“, so Claudia Schecker. Insbesondere für andere Stormarner Schulen gibt es das  Angebot,  sich  von  Schülerinnen und Schülern des  11. Jahrgangs des Beruflichen Gymnasiums  durch die Ausstellung führen zu lassen und anschließend in einem Workshop Einblicke in die Recherchearbeit zu bekommen.
Schulen, die das Angebot nutzen wollen, erhalten weitere Informationen und Anmeldungsformulare  unter Telefon 04531/1601700 oder per E-Mail unterbs-oldesloe@schule.landsh.de.
Der Ausstellungscontainer auf dem Sportplatz am Schanzenbarg ist noch bis zum 28. Juni, Montag bis Freitag von 8 bis 18 Uhr und Sonnabend und Sonntag von jeweils 9 bis 18 Uhr, geöffnet.

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