Kreisstadtalltag in Coronazeiten

Stormarner Tageblatt  16.03.2020

Wie die aktuellen Erlasse der Landesregierung in der Kreisstadt für Überraschungen sorgen

Schlechte Idee:   Private Fußballtreffen könnten für eine Sperrung des Kunstrasens sorgen.
Schlechte Idee: Private Fußballtreffen könnten für eine Sperrung des Kunstrasens sorgen.

Patrick Niemeier Bad Oldesloe Da hätte wohl Silvester niemand drauf gewettet, dass Mitte März das Leben im ganzen Land, in ganz Europa und fast auf der ganzen Welt immer mehr zum Erliegen kommt. Der Begriff „dynamisches Geschehen“ hat dabei gute Chancen zum Wort des Jahres zu werden. Denn das Corona-Virus hat die Gesellschaft und vor allem das öffentliche Leben auch jenseits des Gesundheitssystems fest im Griff. Fast stündlich gibt es neue Meldungen, die den Alltag der Menschen verändern. Diskussionen darüber ob die Maßnahmen sinnvoll oder sinnlos sind, sind reine Kraftverschwendung, wenn es Erlasse aus Landes- oder Bundesregierung sind. Und so gilt es sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Wie sieht das im Alltag aus. Ein Blick auf das Wochenende in der Kreisstadt.

Am Freitag (ausgerechnet der 13. )– noch bevor die neuesten Erlasse des Landes bekannt wurden – fand in vielen Locations der letzte Partyabend für wohl eine lange Zeit statt. Während erste Discos wie der „Fun-Parc“ in Trittau und die „Nachtschicht“ in Bad Oldesloe bereits zu diesem Zeitpunkt vorsichtshalber ihre Türen schlossen, wollte das Oldesloer Seh-Sie die Auflagen des Gesundheitsamts erfüllen und übers Wochenende geöffnet bleiben. Auch das Oldesloer Kino wollte diesen Weg gehen. Und die „Bar Laurent“ in der Fußgängerzone machte ganz normal auf.

Das Seh-Sie-Team hatte noch betont, dass man den Menschen das Tanzen nicht verbieten wolle und die hygienischen und organisatorischen Regeln erfüllt werden könnten. Am Sonnabend kam dann doch das relative schnell Partyaus. Der neue Erlasse der Landesregierung umfasst nämlich nun auch Discotheken und Bars.

Die Fußgängerzone in der Kreisstadt war am Sonnabend deutlicher leerer als gewohnt. Deutlich erkennbar waren die Fußgänger bemüht, mehr Abstand zu anderen im öffentlichen Raum zu halten. Und so schwebte über dem Wochenmarkt die bange Frage, wie lange es diesen denn noch geben dürfe? Jetzt aber ist es amtlich bestätigt: „Wochenmarktbeschicker dürfen ihre Stände aufbauen – Wochenmärkte gehören laut Landesregierung zur Daseinsvorsorge.

„Stattfinden können Veranstaltungen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der Daseinsfürsorge und -vorsorge sowie der Versorgung der Bevölkerung dienen, wie zum Beispiel. Wochenmärkte“, erklärt das Gesundheitsministerium, geführt von Dr. Heiner Garg.

Eine der wenigen Aktionen die nicht abgesagt worden waren: das große Müllsammeln in Bad Oldesloe unter dem Motto „Saubere Stadt“. Allerdings öffnete dafür dieses Mal das Kub nicht seine Türen der Stadtinfo , und die Jugendfeuerwehr durfte gar nicht erst nicht teilnehmen.

So war die Resonanz zumindest in der Innenstadt deutlich geringer als sonst. „Da es keine Veranstaltung mit größeren Ansammlungen an einem Punkt ist, haben wir sie nicht abgesagt. Wir wollten es ermöglichen, dass man Müll sammeln und an zentralen Punkten abgeben kann. Aber wir rechnen mit einer viel geringeren Resonanz als zunächst erwartet. Das ist ja logisch“, so Stadtsprecherin Agnes Heesch.

Am Sonnabendchmittag war dann auch klar, dass nicht nur die Auftritte im Kub in nächster Zeit komplett ausfallen. Auch die Volkshochschule und die Musikschule werden bis mindestens zum 19. April geschlossen, das komplette Kursangebot muss eingestellt werden. Das Café im Kub hat sich bereits angeschlossen und macht die Türen ebenfalls für diesen Zeitraum dicht.

Wie oder wann es aktuell weitergeht, weiß in der Innenstadt auch Daniela Frackmann von der „Machbar“ nicht. Da es hier neben dem eigentlichen Ladengeschäft auch zahlreiche kreative Workshops gibt, schloss sie erstmal aus Vorsichtsgründen am Wochenende und überlegt, mit welchem Konzept es weitergehen kann. Onlinekurse oder -videos könnten eine neue Möglichkeit sein.

Dass die Absicht der Einschränkungsanordnung nicht überall ankommt, zeigte sich am „Exer“. Auf dem öffentlich zugänglichen Kunstrasenplatz versammelten sich zahlreiche Jugendliche, aber auch Familien, um zu bolzen und diskutieren. Das ist natürlich nicht im Sinne des Erfinders, denn genau daher wurde der Trainings- und Spielbetrieb ja offiziell auf Vereinsebene eingestellt. „Wir müssen uns das anschauen. Natürlich setzen wir auf die Vernunft der Mitbürger und so ganz kann ich das nicht nachvollziehen. Wir werden das sicherlich besprechen, ob wir dann auch den Kunstrasen und andere Sportflächen sperren müssen. Bisher war es nicht geplant, weil wir eben dachten, die Menschen sind verantwortungsbewusst und vorsichtig genug“, so Stadtsprecherin Agnes Heesch.

Da gleichzeitig in sozialen Medien die „Fake News“ kursierten, dass nächste Woche auch Geschäfte geschlossen würden, sah es auch in manchen Supermärkten der Kreisstadt so aus, als stünde die Zombie-Apokalypse kurz bevor, so dass sich manche beim Einkauf schon wie empathielose Zombies verhielten und mit 20 Paketen Toilettenpapier und drei Kisten Nudeln aus dem Supermarkt in ihre Paranoia verschwanden.

Am Sonntag öffneten , vielleicht überrumpelt von der Nachricht des Vorabend, die meisten Eiscafes, Restaurants und Bäckerladencafes so wie immer – obschon der neue Erlass Einschränkungen für Gastronomie, Imbisse und Co. ausweist. Auf Nachfrage, wie man die Vorgaben der Landesregierung umsetzen wolle (u.a. Registrierung aller Kunden mit Kontaktdaten, Mindestabstand von zwei Metern zwischen Tischen mit Sitzgelengheiten, Einlass nur für Hälfte der zu zugelassenen Gästeanzahl. „Das wird hier nicht funktionieren. Dann müssen wir eigentlich zumachen“. Am Montag wird sich zeigen, ob Lösungen gefunden wurden.

Derweil zeigt sich auch in den sozialen Netzwerken, dass viele Mitbürger die Maßnahmen belächeln und nicht ernst nehmen. Es tauchen Postings auf, die zu Privapartys im Partykeller aufrufen – als „Protest“ gegen die Erlasse. Tatsächlich glauben solche Initiatoren naiverweise, dass der „Protest“ dazu führen könne, dass Discos, Bars und Clubs wieder öffnen dürfen. Eine gefährliche Milchmädchenrechnung.

Gespräche in der Fußgängerzone mit Personen die unterwegs waren, zeigten sehr viel Verständnis, aber auch teilweise eine fragwürdige Einstellung. Denn mehrfach kam zutage, dass man ja davon ausgehe, dass man selbst „höchstens dann mal 14 Tage in Quarantäne“ müsse, aber dass die Erkrankung an sich für einen selbst wohl nicht so schlimm sei, wie man höre. Hierbei zeigt sich, dass das Ziel der Erlasse – nämlich die Ausbreitung zu verlangsamen – , ältere, immungeschwächte und chronisch kranke Mitmenschen zu schützen, nicht wirklich bei den Leuten ankommt oder egoistisch ignoriert wird, während die gehamsterten Einkäufe durch die Stadt getragen werden.

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