Finn Fischer und Patrick Niemeier
Amateurfilmer
Wenn Dinge nicht mit dem Handy gefilmt und gepostet werden, wenn sie nicht in den „sozialen Medien“ diskutiert wurden, dann haben sie für einige Menschen scheinbar nicht wirklich stattgefunden. Das nervt bei Einschulungen, das nervt bei Konzerten, das nervt überall dort, wo man den Eindruck hat, dass Menschen eigentlich gar nicht im Hier und Jetzt sind, sondern nur an die Auswertung in der Handyfotosammlung, – die sich oft niemand mehr anschaut – oder an ihr nächstes Social-Media-Posting denken. Bei Notfalleinsätzen wird es dann besonders perfide. Nach dem Amok-Alarm an der Beruflichen Schule in Bad Oldesloe standen tatsächlich einige Personen mit gezückten Smartphones bereit und filmten ihre Mitschüler, Verwandte, Freunde und Bekannte. Sie hielten wie selbstverständlich drauf, als manche der Betroffenen in Tränen ausbrachen oder sichtlich geschafft waren. Dass gleichzeitig dieselben Personen dann Journalisten-Kollegen anmoserten, was die denn da „Rumgeiern“ würden, zeigt das komplette Dilemma aus fehlender Selbstreflexion sowie dem Selbstverständnis der falschen Social-Media- und Foto-Nutzungs-Gewohnheit. Medienkompetenz bedeutet nicht, zu wissen, wie man sich möglichst klick-freundlich auf Instagram räckelt oder bei Tik-Tok Klicks dafür sammelt, dass man die Lippen synchron zu Playback-Tracks bewegt.
Fast wie dabei
Komplett absurd wird es aber dann, wenn die durch diese Leute online gestellten Fotos oder Berichte von der „Community“ kommentiert und eingeordnet werden. Vom heimischen Sofa aus wird dann erklärt, wie sich eine bestimmte Lage abgespielt hat. Egal wer vor Ort war und wer nicht. Es zählt das, was irgendwer irgendwo gehört hat. Und ungestört wabern Gerüchte durch die schlecht moderierten, einschlägigen lokalen Foren, in denen die Moderatoren oder Admins auf den Hinweis, dass doch vielleicht eingegriffen werden müsste mit einem „das wäre Zesnur“ oder „das ist ja nur eine Meinung“ reagieren, wenn falsche Informationen weitergegeben werden. „Meine Tochter geht auf die Schule. Da war gar kein Einsatz. Das ist alles erfunden“, fabulierte eine Mutter nach dem Amok-Alarm. Einige Tage davor wurde vehement behauptet, eine Polizei-Meldung sei falsch, weil eine Person ganz einfach nichts davon gehört hatte. Dass sie selbst also von einem Vorfall nichts wusste, war dann Grund genug für einen Shitstorm offenbar. Befindlichkeit und Schein-Wissen geht vor Fakten – bedenklich.